Workshop
Habima-Skandal

In einem Workshop vermittelte Winfried Muthesius am 6. Dezember 2017 zehn jungen Künstlern die Technik des pittura oscura. Es waren Studierende von Prof. Uli Braun, Fakultät Gestaltung der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Würzburg. Muthesius zeigte ihnen, wie man - auf konkrete Orte in Würzburg bezogen - den Bogen zu den Herausforderungen von Heute und Morgen schlagen kann. Als historischer Bezugspunkt wurde der sog. Habima-Skandal gewählt.

Blick auf die Geschichte der Stadt und den Habima-Skandal von 1930
Der aus Berlin angereiste Künstler Winfried Muthesius und die Studierenden machten sich zuerst am Wandgemälde von Wolfgang Lenz, das im Ratssaal die über 1300jährige Geschichte der Stadt in Bildern veranschaulicht, mit den Wechselfällen des Schicksals der Menschen in Würzburg und Umgebung vertraut.

Einführung in die Technik pittura oscura
Danach erläuterte Winfried Muthesius die von ihm entwickelte Technik pittura oscura, stellte das künstlerische Verfahren, Hintergründe, Entstehungsprozess und Beispiele vor und arbeitete mit den Studierenden die Möglichkeiten dieser Technik heraus.

Gang zum Theater
Dann ging es los.

Zu Fuß. Den Weg, den voher auch jüdische Bürger aus Würzburg gegangen waren, nicht wissend, was sie erwartet: Er und die 10 jungen Kreativen nahmen das 2 mal 2 Meter große Schädelbild von Muthesius, das später im Staatlichen Museum für Franken ausgestellt werden sollte, und trugen die 40 kg schwere Last von der Domstraße bis zum Theater. Dabei dachten sie unweigerlich an das, was beim sog. Habima-Skandal genau hier passiert war.

Was damals
passiert war

Rund um das Theater versammelten sich im November 1930 viele gewaltbereite Menschen, darunter viele Studenten, die verhindern wollten, dass die jüdische Theatertruppe Habima aus Russland ihr Stück aufführt. Otto Helmuth, demokratisch gewählter Landtagsabgeordneter der NSDAP aus Würzburg, hatte sie dazu aufgerufen. Über tausend radikale Demonstranten jagten den vorwiegend jüdischen Theaterbesuchern Angst und Schrecken ein, die sie so schnell nicht mehr verließen. Es kam zu zahlreichen brutalen Übergriffen, Verletzungen, Verfolgungen. Angst wurde geschürt.

Fotografie

Heute steht an dieser Stelle das Mainfrankentheater. Die Studierenden stellten das Schädelbild, dessen Ursprung der reale Schädel eines Menschen war, der im Mittelalter einem Pogrom zum Opfer gefallen war, mitten in die Eingangstüre des Theaters. Kein Weg führte daran vorbei. Weder hinein, noch hinaus. Aus verschiedenen Perspektiven fotografierten die Workshop-Teilnehmer nun die Szenerie. Detailaufnahmen mit enger Sicht und Weitwinkelperspektiven, Nahaufnahmen und Totale, - alles wurde ausprobiert. Ziel war am Ende ein Foto auszuwählen, das - nach Weiterbearbeitung - am besten in der Lage ist, die für den Künstler sinnvolle Perspektive für die Zukunft abzubilden.

Bearbeitung des
entwickelten Fotos

Am Nachmittag wurde im Kunstsaal des Würzburger Deutschhaus das ausgewählte entwickelte Foto weiterbearbeitet. Mit bildnerischen Mitteln, farbenfroh oder Schwarz-Weiß, geritzt und geknittert, gerissen und wieder zusammengefügt, - der Kreativität war keine Grenze gesetzt.

Am Ende des Tages hatte, bei gleichen Ausgangsvoraussetzungen und identischen Detailschritten bis fast zum Schluss, jeder ein Unikat in Händen.

Aufgabe: Ein pittura oscura für die pics4peace-Ausstellung im Staatlichen Museum
Für die Praxisphase, die zur Kunstausstellung führen sollte, hatten die Studierenden alle Freiheiten. Sie wählten ihr eigenes Thema, etwas - das sie heute bewegt -, den für sie dazu passenden historischen Bezugspunkt, ein ureigenes Objekt für die Intervention im Vorfeld des Fotografierens und ihre eigene Bearbeitungsmethode für die Schlussphase, um eine Perspektive zur Lösung des Problems aufzuzeigen. 3 Monate hatten sie dafür Zeit. Das Ergebnis war - soviel sei jetzt schon verraten - unglaublich beeindruckend und berührend! Und es war ein eindringlicher Appell an Politik und Gesellschaft.

Nur noch eine Frage: Warum ausgerechnet der Habima-Skandal?

Der Habima-Skandal war die gewalttätigste antisemitische Ausschreitung vor 1933, drei Jahre bevor ein solches Handeln staatlich gebilligt und später sogar staatlich veranlasst wurde.

Auch heute gibt es Übergriffe gegen Minderheiten. Auch heute werden Menschen wieder offen ausgegrenzt und diffamiert. Radikale Gruppierungen gewinnen an Zulauf. Populistische Parteien ziehen in die Parlamente ein. Junge Menschen fühlen sich nicht verstanden von der Politik. Laut einer Studie (2021) des Economist sind Demokratien deutlich auf dem Rückzug. Der Anteil der autoritär regierten Staaten ist dagegen in den vergangenen Jahren stetig gestiegen.

Der Habima-Skandal zeigt, dass der Schritt von einer Demokratie zur Diktatur kurz sein kann.
Deswegen müssen wir alle, alles tun, um den Anfängen zu wehren, auch wenn das Mut erfordert. Jeder und jede von uns kann einen Beitrag leisten.

Video zum Workshop

So hat alles angefangen: Dez. 2017

Der Maler, Fotograf und Installationskünstler Winfried Muthesius sowie 10 Studierende der Fakultät Gestaltung der FHWS und ihre pics4peace-Aktion gegen Antisemitismus:

  • Schädelbild wird durch Würzburg ans Theater getragen -
  • Erinnerung an Habima Skandal von 1930 -
  • Workshop zu "pittura oscura", um neue Perspektiven zu eröffnen

"pittura oscura" nennt Muthesius eine seit 1992 speziell entwickelte Praxis, der werkimmanenten Schichtung, die ausgehend von seinen Zeichnungen, in Reflektion eines Ereignisses, verbunden mit einer Kunstaktion im öffentlichen Raum, verschiedene Darstellungsformen, wie Fotografie und Malerei, ineinander fliessen lässt.

Ausstellung vom 09.03. bis 15.04.2018, im Staatlichen Museum für Franken, Würzburg und pics4peace online, Online-Ausstellung mit kreativen Posts junger Erwachser für ein Leben in Freiheit, Demokratie und Frieden.

pics4peace Projektpartner: Dr. Pia Beckmann, Stadt Würzburg, Museum für Franken, Leonhard-Frank-Gesellschaft, PEN-Zentrum Deutschland

Music, Edits & Design:
Beatpics